Mitwirkung
Ein nicht gerade spektakulär formulierter Satz, aber immerhin ein wichtiger Grundsatz, der das gesamte öffentliche Recht durchzieht und auch die Praxis wesentlich beeinflusst. Die Behörde muss also von sich aus feststellen, ob Ansprüche bestehen oder nicht, grundsätzlich ohne eine Mitwirkung des Antragstellers.
Aber im medizinischen Bereich kommt man ohne eine Beurteilung des Gesundheitszustands nicht aus. Das heißt beispielsweise bei der Beantragung eines bestimmten Hilfsmittels oder der Feststellung, ob eine Erwerbsminderung vorliegt, dass der Antragsteller hier mitwirken muss. Gesetzlich normiert ist eine Pflicht zur Mitwirkung für Sozialleistungen in § 60 SGB I. Im medizinischen Bereich ist die Pflicht zur Mitwirkung unterschiedlich ausgestaltet.
Unter Umständen muss sich der Betroffene ärztlich untersuchen lassen.
Grundsätzlich ist man gut beraten, bereits bei der Antragstellung die notwendigen Befundunterlagen dem ausgefüllten Antragsformular beizulegen. Das kann zum Beispiel die ärztliche Verordnung bei der Beantragung eines Hilfsmittels sein. Wenn der Verordnung noch eine zusätzliche, detaillierte Erklärung des Arztes über gesundheitliche Einschränkungen vorliegt, wird man mit einer solchen freiwilligen Mitwirkung sicherlich bessere Erfolgsaussichten haben.
Oft halten die Sozialversicherungsträger aber auch direkte Rücksprache mit dem behandelnden Arzt - dies ist freilich wegen der ärztlichen Schweigepflicht nicht ohne Weiteres zulässig. Die Mitwirkung besteht dann in der Erklärung des Betroffenen, dass er seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht gegenüber der Behörde entbindet. In vielen Antragsvordrucken finden sich Entbindungserklärungen, zum Beispiel bei Anträgen auf Leistungen aus der Pflegeversicherung. Allein diese Erklärung ist schon eine Mitwirkung.
Reicht dies nicht aus, kann die Einladung zu einer Untersuchung folgen. Denn medizinische Voraussetzungen müssen vollständig geprüft werden und so trifft den Antragsteller die Pflicht einer vollständigen, wahrheitsgemäßen und umfassenden Mitwirkung. Dass dieser Eingriff in die persönliche Sphäre als lästig empfunden werden kann, liegt auf der Hand.
Ein Untersuchungstermin bietet aber für die Durchsetzung des Anspruchs auch eine Chance.
Mitwirkung durch persönliche Begutachtung kann dem begutachtenden Arzt einen hautnahen Eindruck verschaffen, den eine Diagnose eines anderen Arztes nicht bieten kann. Außerdem kann der Betroffene hier weitere Unterlagen mitbringen und persönlich Auskünfte über maßgebliche Fakten geben, die in Arztbriefen oft fehlen. Die Art der Schmerzen und persönliche Behinderungen im Alltag können dem Gutachter weitaus effektiver vorgetragen werden. Sie sind meist aussagekräftiger als eine Diagnose. Aber auch sie gehören zu einem medizinischen Sachverhalt, der Ansprüche begründen kann. Diese Art der Mitwirkung kann die Erfolgsaussichten erhöhen.
Ebenso wie der zur Mitwirkung verpflichtete Betroffene ist der Gutachter zur wahrheitsgemäßen, umfassenden und vollständigen Aufklärung des medizinischen Sachverhalts verpflichtet. Er ist unabhängig - aber er wird bezahlt von der beauftragenden Behörde.
Es steht der Pflicht zur Mitwirkung nicht entgegen, dass der zu Untersuchende eine Begleitperson zum Termin beim Gutachter mitnimmt.
Die Begleitperson kann nicht nur eine emotionale Stütze bieten, sondern kann oft auch nähere Angaben zu den Beschwerden machen, um den medizinischen Sachverhalt noch besser aufzuklären. Auch ist eine Begleitperson immer ein potenzieller Zeuge für das, was bei der Untersuchung passiert ist.
Aber nicht jeder Arzt akzeptiert eine Begleitperson. Es gibt aus ärztlicher Sicht gute Gründe gegen die Anwesenheit einer weiteren Person bei der Untersuchung, ebenso wie es gute Gründe dafür gibt. Hier ist ein Grenzfall der Pflicht zur Mitwirkung gegeben. Das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz hat es in einem Urteil so formuliert:
Ein Arzt darf die Mitnahme einer Begleitperson nur ablehnen, wenn ein wichtiger Grund dafür vorliegt.
Daraus folgt: Will ein Arzt ohne wichtigen Grund die Untersuchung ohne Anwesenheit der Begleitperson vornehmen, ist der Betroffene nicht zur Mitwirkung (in diesem Fall: zur Untersuchung) verpflichtet.
Weitere gesetzlich ausdrücklich geregelte Fälle, die zum Wegfall der Pflicht zur Mitwirkung führen, sind beispielsweise Untersuchungen,
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bei denen eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr nicht ausgeschlossen werden kann,
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die nicht unerhebliche Schmerzen mit sich bringen oder
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einen erheblichen körperlichen Eingriff mit Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit darstellen.
Wer sich als Betroffener einer solchen Gefahr ausgesetzt sieht, sollte sich auch durch Appelle an seine Pflicht zur Mitwirkung nicht irritieren lassen und die Untersuchung ablehnen oder abbrechen.
Das Gesetz ist hier eindeutig: Eine Pflicht zur Mitwirkung besteht in diesen Fällen nicht. Man sollte auch bedenken, dass der Arzt hier keine Behandlung zur Gesundheitsverbesserung durchführt, sondern nur begutachtet.
Neben Vorschriften enthält das Gesetz auch mögliche Sanktionen. Sie gelten aber natürlich nur dann, wenn es eine Pflicht zur Mitwirkung gibt. Eine Folge, die einer Sanktion gleichkommt, ist natürlich die Ablehnung des Anspruchs, weil der medizinische Sachverhalt ohne die Mitwirkung des Antragstellers nicht aufgeklärt werden kann.
Es empfiehlt sich, folgende Tipps zu beherzigen, sollten Zweifel über die Mitwirkungspflicht bei einer Untersuchungshandlung auftauchen:
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Fragen stellen, die auf den Zweck der konkreten Untersuchungshandlung abzielen.
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Entscheidungen erst dann treffen, wenn alle Informationen vorliegen.
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Auch für diese Entscheidungen die Hilfe einer Begleitperson in Anspruch nehmen.
Aber auch bei einem abgelehnten Antrag besteht immer noch die Möglichkeit einer Nachholung der Untersuchung. Dann wird, unter Zugrundelegung der neu vorliegenden, medizinischen Erkenntnisse, ein weiteres Mal über den Antrag entschieden.
Stand: 18.05.2012